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Der Körper als Maschine

„Sind Computer bald die besseren Psychotherapeuten?“, lautet die Überschrift des Leitartikels von Thomas Müller in der „Ärzte Zeitung“ (20. Januar 2017). Der Einstieg des Artikels verweist zwar auf einen Zukunftsroman von Frank Schätzing, „Limit“, der im Jahr 2025 auf dem Mond spielt. Um dann allerdings nach zwei Absätzen zu konstatieren, es „wird (…) kaum noch acht Jahre dauern, bis diese Vision real ist.

Um welche, schon bald realisierte Vision geht es? Schätzings Roman beschreibt eine „schwer depressive Frau“: „Obwohl sie weiß, dass ihr Therapeut keine Person, sondern eine künstliche Intelligenz ist, also ein selbstlernendes Psychotherapieprogramm, spricht sie mit ihm, als wäre es ein Mensch. Und das Programm reagiert wie ein Mensch – analysiert Gesprächsinhalte und Tonlage, misst Puls und Stimmung, macht Verhaltensvorschläge.“

Aha: Analyse von Gesprächsinhalten und Tonlage, Messung von Puls und Stimmung sowie Verhaltensvorschläge (ich wiederhole dies bewusst) – das ist es also, wie sich die „Ärzte Zeitung“ die „besseren Psychotherapeuten“ von morgen vorstellt. Die Zusammenhänge zwischen Psyche und Soma – zwischen den kognitivsprachlichen Prozessen und ihren affektiv-leiblichen Grundlagen also – die Gegenstand der Hauptbeiträge in der vorliegenden GwG-Zeitschrift zur Psychosomatik sind, werden dabei weitgehend ignoriert bzw. auf wenige vordergründige Messparameter reduziert. Ebenso wie allerdings auch die Zusammenhänge zwischen kognitiv-sprachlichen Prozessen und kulturellen Strukturen – die man u. a. in den einschlägigen Diskursen als „Weltwissen“ thematisiert – missachtet werden. Dabei ist sich die überwiegende Mehrheit der Forscher auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) dahingehend einig, dass selbst für vergleichsweise einfache Aufgaben der Mensch-Maschine-Interaktion zunächst etliche Probleme des „Embodiments“ und des „Weltwissens“ gelöst sein müssen. Und dass wir von den Lösungen dieser Schwierigkeiten zumindest derzeit noch sehr weit entfernt sind. Viele bezweifeln sogar, dass dies prinzipiell gelingen kann. Denn schon unsere evolutionär im Körper mitgegebene Fähigkeit der Aktualisierung von Empathie, des Mentalisierens oder des Verstehens innerer Bezugsrahmen unserer Mitmenschen ist etwas völlig anderes als die algorithmische „Analyse von Gesprächsinhalten“. Die therapeutische Beziehung zwischen zwei leibhaftigen(!) Menschen ist nicht durch einen Computer zu ersetzen.

Natürlich bezweifelt niemand, dass Computerprogramme bei der Abarbeitung einfacher Aufgaben besser als Menschen sind. Auch für die Bewältigung von algorithmisierbaren (d. h. in klare Schritte zerlegbaren) Problemen sind Computer bestens geeignet. Und selbst für Ratschläge, Lebensweisheiten, Erinnerungen an Termine, Verrichtungen, Medikamenteneinnahme usw. eignen sich Maschinen gut. Nicht bestritten werden soll auch, dass so etwas nützlich sein kann – so wie Tante Fridas Ratschläge in manchen Lebenslagen. Aber all das würden wohl nicht einmal die radikalsten Verfechter manualisierter Therapieprogramme als „Psychotherapie“ bezeichnen – schon gar nicht für die oben genannte „schwere Depression“.

Zur evolutionär-körperlich verankerten Basis des Menschen gehört auch, Sinn selbst dort zu unterstellen, wo keiner vorhanden ist (wie viele Experimente belegt haben) und, damit durchaus verbunden, sich ggf. „verstanden“ zu fühlen, selbst wenn einem das nur vorgegaukelt wird. Drückerkolonnen, die darauf trainiert sind, Menschen zu täuschen und ihnen an der Tür irgendetwas aufzuschwatzen, profitieren davon. Auch andere Berufsgruppen (inkl. Therapeuten) können trainieren, Mensch zu täuschen – d. h. „verständnisvoll“ oder auch „echt“ zu wirken ohne es zu sein. Gerade die Forschungen von Rogers und seinen Nachfolgern lassen allerdings zweifeln, dass diese Täuschung hilfreich oder auch nur längerfristig tragfähig ist und nicht vielmehr zur massiven Ent-Täuschung führt. Selbst manche missbrauchte Menschen fühlen sich zunächst „geliebt“, bis dann längerfristig die Täuschung und der angerichtete Schaden deutlich werden.

Der Mensch als psycho-somatisches Wesen in bedeutsamen interpersonellen Bezügen inmitten einer Kultur ist nicht auf eine textproduzierende Maschine (und ggf. ein paar physiologische Parameter) zu reduzieren, deren Produkte man analysieren kann. Auch das Bild von einem „Kopf am Stiel“, der Kognitionen produziert, greift zu kurz. Wenn daher gern betont wird, dass die „virtuellen Therapeuten“ bereits heute zu bestimmten kognitiven Verhaltenstherapien gleichwertig sind, darf man nachdenken, was damit eigentlich über den einen und den anderen Ansatz jeweils ausgesagt wird.

Nachdem der Leitartikel in der „Ärzte Zeitung“ ausführlich Vorteile von „virtuellen Therapeuten“ vorstellt, kommt der Autor zum Schluss denn doch noch ins Grübeln: „Die entscheidende Frage ist (…), was solche Programme heute und künftig tatsächlich leisten. Bei Schätzing konnte der virtuelle Therapeut das sich anbahnende Desaster jedenfalls nicht verhindern: Irgendwann ging trotzdem alles schief, was nur schiefgehen konnte.“

Da müssen wir in der Tat nicht mehr bis 2025 warten, bis „alles schief geht“. Sondern es ist offensichtlich bereits vieles schief gegangen hinsichtlich der Bilder, die die Wortführer in Wissenschaft, Kammern, WBP oder G-BA über unsere Profession vermitteln, wenn solche reduktionistischen, körper- und geistlosen Vorstellungen über „Psychotherapie“ in einem Leitartikel der „Ärzte Zeitung“ auftauchen.