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Der Mensch 2.0

Erinnern Sie sich noch an das sogenannte „Humangenomprojekt“ – das internationale Forschungsprogramm zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms? Ende 1990 gegründet, sollte es die menschliche DNA auf ihren einzelnen Chromosomen entschlüsseln, indem man die Sequenz der Basenpaare identifiziert und kartografiert. Dahinter stand die vielversprechende Aussicht (so die Begründung für dieses Projekt) Erkenntnisse über den Ursprung bestimmter Krankheiten zu erhalten und daraus neue Therapien zu entwickeln. Am Projekt nahmen über 1.000 Wissenschaftler in 40 Ländern teil. Auch Deutschland beteiligte sich daran: Das Deutsche Humangenomprojekt (DHGP) wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert. Tatsächlich wurde bis 2003 das menschliche Genom vollständig entschlüsselt; das DHGP erklärte 2004 das Projekt als erfolgreich beendet.

Seitdem ist es vergleichsweise still um die Ergebnisse des Humangenomprojektes geworden. Zwar wird weiter geforscht und an vielen Details gearbeitet. Der erhoffte und im Vorfeld verkündete große Durchbruch im Verständnis der Biomasse „Mensch“ oder gar hinsichtlich der Dynamik von Krankheiten und entsprechenden Therapien ist nicht zu verzeichnen.

Das ist vielleicht gut so – wenn man an viele Argumente der umfangreichen Ethik-Debatten um dieses Projekt denkt, welche vor allem um das zentrale Thema kreisen, ob und wie weit wir einen Eingriff in die Evolution (um nicht von „Schöpfung“ zu sprechen) wagen dürfen. Gemeint ist damit nicht nur der Eingriff in Jahrmillionen biologischer Entwicklung mit komplexen Vernetzungen und labilen Gleichgewichten. Bei Pflanzen wird dies trotz Warnungen und Protesten zunehmend vorangetrieben, auch wenn wir die Auswirkungen nicht seriös abschätzen können. Gemeint ist vielmehr auch der Eingriff in die biologische Basis des Menschen – mit fragwürdigen Motiven. Denn dass der Raum an Missbrauchsmöglichkeiten solcher Forschungen stets über kurz oder lang ausgeschöpft wird, ist wohl eine der wenigen grundlegenden Lehren in der Geschichte der Wissenschaften.

Nun ist allerdings auf einem anderen Weg zum Ziel des Menschen als „Evolutionsverbesserer“ ein weitaus folgenschwererer Meilenstein erreicht: Wie Ende Juli 2017 in „Science“ und Anfang August 2017 in „Nature“ – den beiden führenden wissenschaftlichen Journalen – berichtet wurde, ist es dem internationalen Team um den Gen- und Embryonenforscher Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University in Portland gelungen, an einer größeren Zahl menschlicher Embryonen erfolgreich ein pathogen mutiertes Gen zu korrigieren. Die Forscher benutzten dazu die sogenannte „CRISPR/Cas9-Technologie“, eine Art biochemischer Gen-Schere. Diese ist prinzipiell durch Forschungsarbeiten von Teams um Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna sowie um Virginijus Šikšnys seit rund fünf Jahren bekannt – wurde von diesen allerdings nur an Mikroorgansimen erforscht.

Ab 2015 veröffentlichten diverse chinesische Teams entsprechende Experimente an menschlichen Embryonen, allerdings nicht mit überzeugenden Ergebnissen. Daher wird Mitalipov von Kommentatoren als ziemlich sicherer Nobelpreis-Kandidat gehandelt. Wurde doch schon 2007 der Medizin-Nobelpreis an Mario Capecchi, Martin Evans und Sir Oliver Smithies für das „Gene Targeting“ vergeben, bei dem in Organismen (bevorzugt Mäusen) jeweils bestimmte Gene ausgeschaltet werden, was es erlaubt, die Funktion des betreffenden Gens sowohl für die normale Entwicklung eines Säugetiers als auch für diverse Krankheiten zu verstehen. Es ist offensichtlich, dass die CRISPR/Cas9-Technologie weit über dieses „Gene Targeting“ hinausgeht. Man spricht daher auch von „Gene-Editing“. Spätestens diese verräterische Begrifflichkeit sollte dafür nach-denklich machen, worum es in dieser Entwicklung – die schon jetzt auf Milliarden-Profite eingeschätzt wird – wirklich geht. Denn nur auf den ersten Blick könnte man sich darüber freuen, dass die CRISPR/Cas9-Technologie Erbkrankheiten zu verringern oder gar zu eliminieren vermag. Das ist prinzipiell schon heute im Rahmen von Einsatzfeldern, wo die CRISPR/Cas9-Technologie zum Tragen kommen könnte, längst nicht nur möglich, sondern wird bereits viel kostengünstiger und effizienter umgesetzt: Im Rahmen von Präimplantationsdiagnostik werden Embryonen auf genetische Defekte untersucht und die Auffälligen selektiert. Warum sollte sich jemand (in der Praxis) die Mühe machen, genetisch pathogene Embryonen zu „korrigieren“? Kritiker wie Stefan Rehder Anfang August 2017 in „Die Tagespost“ verweisen darauf, worin der „mögliche Nutzen von CRISPR/Cas9 beim Menschen allein besteht: Nicht in der Heilung von Menschen mit unerwünschten, sondern in der Laborzeugung von Menschen mit gewünschten Merkmalen“. Es geht um den Menschen 2.0. Wollen wir wirklich einen solchen Fortschritt in der Formierung der Biomasse „Mensch“?