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Eine Talkshow in Buchform

Eine Talkshow in Buchform von Gabriele Isele Buchbesprechung: Krista Warnke, Berthild Lievenbrück „Momente gelingender Beziehung“ 2015, Beltz Verlag Weinheim

Eins

Anmoderation der beiden Autorinnen (Prof. Dr. Krista Warnke, ehemals Professorin der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und Berthild Lievenbrück, Oberstudienrätin für Musik und Englisch). Das Thema Beziehung wird vorgestellt, von alltäglichen Erfahrungen und Beobachtungen bis hin zu Ergebnissen aus der Emotions- und Kognitionsforschung und der Wechselwirkung von Fühlen und Denken. Schließlich wird die Frage aufgeworfen, inwieweit gegenwärtige krisenhafte gesellschaftlich-ökonomische Entwicklungen auch als Ausdruck einer „Krise der Beziehungskultur“ begriffen werden können und die These formuliert, zu der die Interviewpartner dann Stellung beziehen sollen: Momente gelingender Beziehung sind „Voraussetzung für soziale Verbundenheit“, sind „das Abc gelingender Beziehungskultur“.

Zwei

Unter den eingeladenen Gesprächspartnern der ersten Runde finden sich neben den bekannten Medienstars zum Thema Bildung: Jesper Juul und Gerald Hüther die Politikerin und Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, der Mathematiker und Systemwissenschaftler Wolf Dieter Grossmann und Claudia von Braunmühl, Professorin für Internationale Politik und unabhängige entwicklungspolitische Gutachterin.

Drei

In die Runde zugeschaltet werden zwei MusikerInnen, die als Musikpädagogen Verständigungsarbeit unterstützen: Gino Romero Ramirez (Geigenklassen auf St. Pauli, Hamburg) und Magdalena Abrams (Musiker ohne Grenzen). Für mich sind es die beiden lesenswertesten Abschnitte des Buches. Hier berichten zwei engagierte Musiker von ihrer Projektarbeit, den Schwierigkeiten und Hürden, den Erfolgen und Glücksmomenten – und welche Rolle die Musik, das gemeinsame Musizieren spielen kann.

Vier

Fazit und Botschaft der beiden Autorinnen. „Wie uns Momente gelingender Beziehung gelingen“. Sie nennen zunächst drei Bausteine für eine gute Beziehungskultur:
Aktiv werden – Denken und Fühlen – 51% prosoziale Einstellungen und Haltungen zulassen.
Es folgen dann in 6 Gruppen zusammengefasst die aus den Gesprächen herausdestillierten „Fundamentalbotschaften“: Offenheit – Zugewandtheit – Respekt – Mut – Humor - Zeit.
Jeder dieser Gruppen sind besonders bedeutsame Verhaltensweisen zugeordnet und werden kurz erläutert, so zum Beispiel für Zugewandtheit „sich anderen gegenüber positiv einstellen, empathisch reagieren, einladen, ermutigen und inspirieren, positive Kritikfähigkeit bemühen, angstfreien Raum schaffen.“

Was ich lese, ist mir geläufig und vertraut und es ist flüssig lesbar, populär geschrieben. Zunehmend beschleicht mich jedoch das Gefühl, dass mir hier als Neuerfindung verkauft wird, was doch schon lange erfunden ist, wissenschaftlich gut begründet und vielfach publiziert.
Soll ich mich nun freuen oder ärgern ?

Resultiert mein „Ärger“ vielleicht nur aus dem Neid, dass wir personzentrierten Therapeuten und Therapeutinnen, Berater und Beraterinnen es nicht geschafft haben, ähnlich medienwirksam aufzutreten? Oder hat er mehr damit zu tun, dass hier auf eine Weise popularisiert und vereinfacht wird, die meinem wissenschaftlichen Selbstverständnis zuwider läuft?

Hilft es der guten Sache, die umtriebigsten Bildungsgurus, Bestsellerautoren und Talkshowgäste jetzt auch in diesem Buch zu versammeln?
Wie Jesper Juul, hemdsärmeliger Praktiker, mit kleinen Anekdoten und seinen neu geprägten Begriffen „Beziehungskompetenz“ und „Gleichwürdigkeit“ aufwartet, wie Gerald Hüther mit dem Hinweis auf die Neurobiologie alle anderen wissenschaftlichen Diskurse zum Thema beiseite wischt - das ist gekonnt, das ist werblich - Chapeau!

Zugegeben, von Gespräch zu Gespräch wird es dann etwas differenzierter und komplexer. Gesine Schwan betont, dass in der Politik zur Vertrauensbereitschaft auch Risikobereitschaft gehört und welche Gefährdung es bedeutet, sich als Wettbewerbsgesellschaft zu definieren. Wolf Dieter Grossmann weist darauf hin, dass es Einfühlungsvermögen braucht, um Innovationen und nachhaltige Entwicklung zu fördern und stellt Ergebnisse aus seinem Forschungsgebiet

„Kreuzkatalytische Netzwerke“ vor. Claudia von Braunmühl beschreibt aus ihrer Erfahrung als Gutachterin für Entwicklungshilfe-Projekte, welche strukturellen Missverständnisse hinter dem Konstatieren des „Gelingens“ solcher Projekte lauern können, welche Brüchigkeiten, kulturellen Unterschiede und Interessengegensätze unterschwellig eine Rolle spielen und mit zu bedenken sind.

Das Buch bleibt letztlich in seiner guten Absicht stecken. Das interessante Thema, was Momente gelingender Beziehung ausmacht und wie genau man von ihnen zu einem konstruktiven Dialog gelangt, erschöpft sich in Appellen und allzu einfachen Erklärungen.

Nicht mal in einer Fußnote erwähnt wird die lange Tradition, die die Auseinandersetzung zu Eigenständigkeit und Bezogenheit in der Philosophie hat, nicht erwähnt wird die Begegnungsphilosphie Martin Bubers und ebenso nicht erwähnt wird Carl Rogers, der aufgrund umfangreicher empirischer Untersuchungen „sechs notwendige und hinreichende Bedingungen für Persönlichkeitsentwicklung durch Psychotherapie“ formuliert hat.

„Jede Untersuchung der Natur der therapeutischen Beziehung führt früher oder später zu dem Diktum von Carl Rogers: Es ist die Beziehung, die heilt“ schreibt Irvin Yalom[1] – diesen Weg haben die Autorinnen und ihre GesprächsparterInnen leider (noch ?) nicht gefunden.

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[1] Irvin D. Yalom (1998/2003) „Was Hemingway von Freud hätte lernen können“, Goldmann, München

GwG-Bloggerin Gabriele Isele
Web: www.personzentrierteberatung.de