Sie sind hier:

Ethik und Moral – eine Begriffsklärung

In den Ethischen Richtlinien der GwG werden in den einleitenden Bemerkungen die Begriffe „Ethik“ und „Moral“ in ihrer unterschiedlichen Bedeutung verwendet. Wo genau wird hier der Unterschied verstanden?

Ethik und Moral – eine Begriffsklärung

Ein Beitrag des GwG-Ethikrats

In der Neufassung der Ethischen Richtlinien, die auf der nächsten GwG-Delegiertenversammlung verabschiedet werden sollen (siehe den Entwurf in Ausgabe 1/2019 der Zeitschrift), werden in den einleitenden Bemerkungen die Begriffe „Ethik“ und „Moral“ in ihrer unterschiedlichen Bedeutung verwendet. Da für manche LeserInnen an dieser Stelle Klärungsbedarf bestehen könnte, möchte ich im Folgenden den Unterschied erläutern.

In der Philosophie wird mit „Moral“die Gesamtheit der Regeln bezeichnet, nach denen Menschen ihr Verhalten und ihr Handeln als richtig oder falsch, gut oder böse, moralisch oder unmoralisch bewerten. Die Frage nach dem richtigen Handeln hat Kant in die klassische Formulierung gebracht „Was soll ich tun?“. Unter „Ethik“ wird die Theorie der Moral(en) verstanden. Sie fragt nach der Begründung und Rechtfertigung von moralischen Regeln und diskutiert deren allgemeine Anerkennungsfähigkeit auf einer abstrakten Ebene. Ihre Fragen sind beispielsweise „Wie kommt es zu Moral?“, „Was sind Moralkonzepte?“, „Wie ist ihre Begründung?“, „Wie erlangen sie Geltung?“. Es geht also um die Beschäftigung damit, ob eine Regel, ein Prinzip ethisch gerechtfertigt ist oder nicht.

Auf die Frage, wie Moralbegründung grundsätzlich möglich ist, kann hier wegen der gebotenen Kürze nicht eingegangen werden. In der Biologie und in der angelsächsischen Philosophie geht man davon aus, dass es moralische Intuitionen als angeborene Disposition gibt, dass diese aber kulturell ausgeformt werden. So kann durchaus eine Vielzahl verschiedener Moralen existieren, so etwa in religiösen Texten wie den Zehn Geboten, im Koran oder in buddhistischen Schriften. Moralen sind Normensysteme, die für sich Gültigkeit beanspruchen, über deren Berechtigung aber nachgedacht und diskutiert werden kann – eben in der Ethik oder „Moralphilosophie“.

Ethische Fragen stellen sich üblicherweise erst oder besonders in Krisen- und Konfliktsituationen.

So könnte in der Therapie und Beratung diskutiert werden, ob in Hinblick auf suizidale KlientInnen eher die Pflicht zur Fürsorge handlungsleitend werden soll oder aber der Respekt vor der Autonomie von KlientInnen.

Es geht in der Ethik weniger darum, ein für alle Mal gültige Antworten zu finden, als vielmehr Fragen zu stellen, zu argumentieren, zu begründen, zu diskutieren.

Im Englischen kann „ethics“ sowohl „Moral“ als auch „Moralphilosophie“ bzw. „Ethik“ bedeuten. Das zugehörige Adjektiv „ethical“ kann demzufolge sowohl „moralisch“, also einer bestimmten Moral folgend, bedeuten als auch „ethisch gerechtfertigt“, also einer wissenschaftlichen Reflexion unterzogen. Im Deutschen jedoch bezeichnen Ethik und Moral kategorial verschiedene Dinge. Entsprechende begriffliche Unterscheidungen wären beispielsweise die von „psychisch“ und „psychologisch“ oder von „sozial“ und „soziologisch“. Dass dennoch heute vielerorts lieber von „ethischen“ Fragen gesprochen wird, wenn es um solche der Moral geht, hat – neben dem Einfluss des Englischen – möglicherweise auch damit zu tun, dass der Begriff „Ethik“ für viele weniger eng und rigoros klingt, während mit „Moral“ häufig „moralistisch“ assoziiert wird.

Unsere Ethischen Richtlinien sind in ihrer vorliegenden Fassung eine Mischung aus moralischen Prinzipien auf allgemeinerer Ebene, konkreten moralischen Regeln und einer übergreifenden Aufforderung zu ethischer Reflexion und zum Diskurs – deshalb haben wir sie nicht „moralische“, sondern „ethische“ Richtlinien genannt.

Gabriele Isele