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Gedanken zum Begriff „Freiheit“

Freiheit hat mit Ethik und Moral zu tun. Wir nehmen den Ausgangspunkt bei uns selbst und entscheiden im Austausch und in Kooperation mit anderen bewusst, welche Handlungsoption gewählt wird... wie steht es um den den Begriff Freiheit? Ein paar Gedanken dazu von Gabriele Isele.

Die sprach- und medienkritische Initiative „Floskelwolke“ hat das Wort „Freiheit“ zur „Floskel des Jahres“ gekürt. Wobei nicht der mit diesem Begriff verbundene Wert angesprochen werden sollte, sondern die Entstellung und Verflachung und Pervertierung, die sich in den Gebrauch eingeschlichen hat. Zu erinnern ist hier an die Argumentation gegen ein Tempolimit „Freie Fahrt für freie Bürger“ oder die Umdeutung der Atomenergie zur „Freiheitsenergie“. Immer geht damit eine Verengung auf individuelle Interessen einher, während das Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und dem Schutz der Gemeinschaft, also zwischen Freiheit und Verantwortung, aus dem Blick gerät – das doch immer aufs Neue ausgerichtet und bestimmt werden muss.

In diesem Zusammenhang ist auch das Buch der Soziolog:innen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger „Gekränkte Freiheit“ (Suhrkamp, 2022) zu lesen. Sie haben über vier Jahre empirisch geforscht und eine gründliche und tiefgehende Analyse der Querdenken-Szene verfasst.

Wer sich schon mal gefragt hat, warum gerade Personen, die man doch gestern noch als ökologisch interessiert oder linksalternativ wahrgenommen hat, als kritische Zeitgenossen, die Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung hochgehalten haben, sich dieser Szene angeschlossen haben und auf einmal Verschwörungsmythen anhingen und für Diskussionen immer weniger zugänglich wurden, findet hier einleuchtende Antworten. Es geht bei ihnen um ein übersteigertes Pochen auf persönliche Freiheit und Autonomie, ihre Empörung richtet sich gegen jedes Ansinnen einer Einschränkung zugunsten anderer oder der Gemeinschaft. Man will folgerichtig einen Staat, der sich möglichst aus allem raushält. Die im Zuge aktueller krisenhafter Phänomene (Pandemie, Krieg in der Ukraine, Klimakatastrophe …) zunehmende Unsicherheit und der Verlust an Kontrolle löst bei ihnen weniger den Ruf nach einem starken Führer oder den Wunsch nach Orientierung an wissenschaftlicher Expertise aus als vielmehr den Rückzug auf die eigene Intuition und das eigene Gefühl. Das Selbst wird zur neuen und unhinterfragten bzw. unhinterfragbaren Autorität.

Es mutet schon bizarr an, wie das, was wir in der Therapie und Beratung als so hilfreich für die Selbstentwicklung von Menschen kennen, hier plötzlich eine Verkehrung und Verabsolutierung erfährt: Die Inkongruenz zwischen Selbstkonzept und äußeren Gegebenheiten wird nicht durch eine Erweiterung des Selbstkonzeptes aufgelöst, sondern die äußeren Gegebenheiten werden dem Selbstbild angepasst, die Inkongruenz verfestigt sich zur Ideologie.

Es ist die Forderung nach Freiheit für das eigene Ich, andere Meinungen werden schnell als „Mainstream“ und vom elitären Establishment gesteuert angesehen, mit denen man sich nicht auseinandersetzen muss. Zweifellos gibt es immer wieder Verengungen des öffentlichen Meinungskorridors, ihre vielfältigen Gründe und werden auch von Journalist:innen selbst thematisiert – daraus aber den Vorwurf der „Lügenpresse“ abzuleiten, schießt weit über das Ziel hinaus. Eher steckt dahinter die Sehnsucht nach einer homogenen Gesellschaft statt einer demokratischen. Denn Konflikte und verschiedene Positionen auszuhalten, sich konstruktiv zu streiten, Vereinbarungen und Lösungen zu suchen, wohl wissend, dass sie immer wieder zur Disposition gestellt werden müssen, ist anstrengend.

Freiheit hat mit Ethik und Moral zu tun. Wir nehmen den Ausgangspunkt bei uns selbst und entscheiden im Austausch und in Kooperation mit anderen bewusst, welche Handlungsoption gewählt wird. Dabei wäre es allerdings ein harmonistisches Missverständnis, würde man Kooperation nur als wechselseitige Hilfe und Anteilnahme begreifen, andere Menschen sind durchaus auch Widersacher:innen und Opponent:innen. Eine freiheitliche demokratische Gesellschaft braucht die Auseinandersetzung. Aufgabe des Staates ist es, Meinungsfreiheit und Kritik zu gewährleisten – aber dort eine Grenze zu ziehen, wo Kritik auf Abschaffung der demokratischen Institutionen zielt. Aber auch diese Grenze ist in jedem konkreten Fall wieder zu prüfen.