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Gendergerechte Sprache und Schreibweise – Problem und Herausforderung

Sprachlich gesehen bedeutet der Begriff „Gender“ das Genus eines Wortes, soziologisch beschreibt es sozial konstruierte Bilder bzw. Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit Sprache die lebendige Wirklichkeit abbilden kann und muss...

Gendergerechte Sprache und Schreibweise – Problem und Herausforderung

Ein Beitrag von Gabriele Isele

Als wir vom Ethikrat auf der Konferenz der Weiterbildungsleitungen den Neuentwurf der Ethischen Richtlinien vorgestellt haben, forderte eine Kollegin dafür die Schreibweise mit Sternchen statt dem Binnen-I, weil dieses zum Beispiel queere Identitäten nicht berücksichtige. Eine klare moralische Aussage, der ich aber nicht einfach entsprechen, sondern sie im Folgenden ethisch reflektieren möchte. Moralische Situationen setzen sich – in unterschiedlicher Gewichtung – aus Motivationen, Handlungen und Konsequenzen zusammen und verschiedene ethische Konzepte rücken jeweils einen Bestandteil davon in den Vordergrund. Fragen möchte ich hier danach, ob und welches moralische Handlungsprinzip wir hinsichtlich einer gendergerechten und identitätsübergreifenden Sprache finden können, das einigermaßen konsensfähig ist.

Sprachlich gesehen bedeutet der Begriff „Gender“ das Genus eines Wortes, soziologisch beschreibt es sozial konstruierte Bilder bzw. Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit Sprache die lebendige Wirklichkeit abbilden kann und muss.

Die postfeministische Philosophin Judith Butler etwa fordert eine Dekonstruktion der biologisch begründeten Begriffe „Mann“ und „Frau“. Gemeint ist damit eine Öffnung der Begriffe für erweiterte Bedeutungen.

Nun ist es einerseits so, dass in dem Moment, in dem wir versuchen, sprachlich jeder differenten Gruppe gerecht zu werden, wir uns der Gefahr einer identitätspolitischen Zersplitterung aussetzen. Andererseits macht der kategorienübergreifende Gebrauch des Maskulinums Frauen und LGBTQI-Identitäten unsichtbar. Dieses Problem ist auf verschiedene Weise versucht worden, zu lösen.

In der bisher häufigsten Variante wird der besseren Lesart zuliebe das Maskulinum verwendet und in einer Fußnote darauf hingewiesen, dass entweder immer beide Geschlechter gemeint sind oder das Maskulinum als Gattungsbegriff verwendet wird, d. h. Männer, Frauen und LGBTQI-Identitäten gleichermaßen gemeint sind. Als weitere Möglichkeit werden weibliche und männliche Form abwechselnd verwendet, wobei die Einbeziehung weiterer Identitäten wieder nur in einer Fußnote angemerkt werden kann. Inzwischen wird häufig die Schreibweise mit Sternchen benutzt, welches als symbolische Einbeziehung gilt, was aber nur im Schriftbild deutlich werden kann, nicht in der gesprochenen Sprache.

Den meisten dieser Lösungsversuche gemein ist, dass es, konsequent durchgeführt, spätestens bei Artikeln, Relativ- und Possessivpronomen schwierig wird und sich die Lesbarkeit deutlich verschlechtert: z. B. „Der/die Therapeut*in / der/die Berater*in fühlt sich empathisch ein in das, was der/die Klient*in über sein/ihr Problem erzählt“.

Nun sind sprachliche Begriffe als Symbolisierungen immer schon Einengungen oder Verallgemeinerungen, welche die Wirklichkeit in ihrer Komplexität und in ihren Nuancierungen nie genau abbilden können. Um etwas oder jemanden wirklich zu verstehen, müssen weitere Beschreibungen und Erläuterungen hinzukommen, müssen Kontexte und Hintergründe herangezogen werden (das kennen wir aus unserer beraterischen und therapeutischen Arbeit). Sprache ist etwas Gewachsenes, das sich aber auch entwickelt und verändert, in der wir uns bewegen und zu Hause fühlen müssen. Mittels unserer Sprache müssen wir uns auseinandersetzen und sicherstellen, dass auch über Begrifflichkeiten ein Diskurs ermöglicht und zugelassen wird. Innerhalb eines legalen und legitimen Rahmens (grob verachtende und diffamierende Äußerungen gehören nicht dazu) müssen unterschiedliche Sichtweisen und Vorlieben zugelassen und ausgehalten werden.

Das Spannungsverhältnis von Wirklichkeit und Sprache ist eine beständige Herausforderung, der man m. E. durch die moralische Norm einer Festlegung auf eine bestimmte Rede- und Schreibweise nur ausweicht. Hier wird eine (vermeintliche) Sicherheit hergestellt, die eher geeignet ist, das Nachdenken über und die Auseinandersetzung mit immer noch bestehenden realen Ungleichheiten zu behindern. Moralische Normen sind „Sollens-Sätze“, die mit einem Wahrheitsanspruch einhergehen und durch Unbedingtheit gekennzeichnet sind. Eine moralische Norm teilt in Richtig und Falsch und erleichtert nicht das gegenseitige Verstehen in unserer augenblicklichen gesellschaftlichen Situation, in der der Diskurs zwischen den verschiedenen politischen Lagern ohnehin zunehmend schwerer wird.

Abgesehen von ästhetischen und pragmatischen Gesichtspunkten gibt es keine eindeutig zu begründende ethische Antwort hinsichtlich einer korrekten Schreib- und Sprechweise. Wohl aber gibt es das übergeordnete und ethisch zu rechtfertigende Prinzip, die Offenheit für menschliche Vielfalt und die Dialogfähigkeit zu erhalten und zu fördern.

Ich plädiere daher dafür, nach eigener verantwortlicher Reflexion eine jeweils als stimmig empfundene Schreib- und Sprechweise zu wählen und zu begründen (auch in Anbetracht aller Vorläufigkeit und Irrtumsanfälligkeit). Dabei kann aus meiner Sicht die unkommentierte Verwendung des Maskulinums nicht in Betracht kommen, weil sie dem Anspruch der Gendergerechtigkeit und unserer derzeitigen gesellschaftlichen Aufgabe, für diese zu sensibilisieren, zuwider läuft. Ziel für uns muss immer die lebendige Begegnung mit dem Anderen in seiner Andersheit sein.

Gabriele Isele