Sie sind hier:

Glückauf!?

Kommentar von Jürgen Kriz

Die Botschaft wurde rasch verbreitet: Im April 2013 begann der „Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)“ endlich damit, das Prüfverfahren zur sozialrechtlichen Anerkennung der „Systemischen Therapie“ zu eröffnen. „Glückauf!“ möchte man dem Nachbar-Verfahren zurufen – und vielleicht ergänzen: „Möge Euch etwas mehr Redlichkeit beschieden sein, als der Gesprächspsychotherapie.“

Doch mit Glück hat das Prüfverfahren des G-BA wenig zu tun. Auch nicht mit Wissenschaft oder mit angeblicher Prüfung des Nutzens. Denn inzwischen haben bekanntlich der „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“ und der G-BA weitgehend die in einem „Methodenpapier“ festgeschriebenen Kriterien der Prüfung festgelegt. Es werden genau dieselben Studien nach genau denselben Kriterien bewertet, wie dies vor Jahren schon der WBP bei der Prüfung der „Wissenschaftlichen Anerkennung“ der Systemischen Therapie getan hat.

Die vielfach geäußerte Kritik an dieser weitgehenden Gleichschaltung wurde damals damit begründet, dass man nicht unterschiedliche Kriterien haben wolle – denn bei der Gesprächspsychotherapie habe sich ja gezeigt, wie ungut es wirke, wenn das eine Gremium zu anderen Beurteilungen kommt als das andere.

Noch ist nicht klar, wie der G-BA nun wirklich vorzugehen gedenkt. Allerdings sind die Hoffnungen wohl inzwischen dahin geschmolzen, dass man sich wegen der nun gleichen Kriterien die doppelte Arbeit ersparen und sich des Sachverstandes der Wissenschaftler im WBP bedienen werde. Dieser hatte ja bereits in einem überaus aufwendigen Verfahren die Studien geprüft – wie gesagt, nach Kriterien, die mit dem G-BA abgesprochen waren. Eigentlich hätte daher der G-BA wenige Wochen nach der „Wissenschaftlichen Anerkennung“ durch den WBP ebenfalls einen positiven Beschluss zur sozialrechtlichen Anerkennung fällen können.

Stattdessen aber hat der G-BA allein schon die Eröffnung der Prüfung zur Systemischen Therapie über vier Jahre verschleppt. Man kann daraus wohl unschwer auf das Interesse und die Begeisterung schließen, mit welcher der G-BA dieses hoch wirksame Verfahren, das international in großem Umfang eingesetzt wird, den Patienten endlich auch auf deutschem Boden zur Verfügung stellen will. Allerdings lässt sich aus der Verschleppung allein noch nicht abschätzen, ob der G-BA bei der Systemischen Therapie nicht doch etwas redlicher und sachgerechter zu Werke gehen wird, als bei jenem Prüfverfahren, mit dem er eigentlich hätte die „Gesprächspsychotherapie“ untersuchen sollen.

Der Trick, den der G-BA damals anwandte, um ein „Prüfergebnis“ zu erzeugen, dass er längst vor Ende der Prüfung verkündet hatte, bestand ja darin, gar nicht erst die Gesprächspsychotherapie zu prüfen, so wie sie international und in Deutschland durchgeführt und gelehrt wird. Stattdessen prüfte er etwas, das er sich selbst ausgedacht hatte – in demonstrativ-intentionaler Missachtung der einhelligen Auffassung sämtlicher deutscher Professoren im betreffenden Fach, dem in Lehrbüchern dargestellten Entwicklungsstand oder auch der üblichen Forschungsstandards.

Man darf also gespannt sein, ob der G-BA diesmal tatsächlich die Systemische Therapie prüft, oder sich wieder unter diesem Namen selbst etwas ausdenkt, was schon vorab zum Ausschluss vieler Wirkbeweise führt. Aber vielleicht geht es ja dieses Mal etwas sachgerechter zu. Dann würde wohl in einiger Zeit immerhin zwei Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes das erste Verfahren die errichtete deutsche Doppelhürde genommen haben.

Bis dahin müssen sich die Patienten in Deutschland damit behelfen, dass sie systemische Therapie – wie auch humanistische Therapie – nur in Kliniken oder als Selbstzahler in Anspruch nehmen dürfen. Oder sie finden einen Richtlinientherapeuten, der in Wirklichkeit etwas anderes macht. Oder sie erhalten Psychotherapie unter der Bezeichnung „Beratung“.

Denn der Beratungsbereich hat sich im Kontrast zur ausgetrockneten Therapiesteppe die blühenden Landschaften mit lebensgerechter Vielfalt auf internationalem wissenschaftlichem Niveau bewahrt. Der Grund dafür ist ganz einfach: Für ein RCT-Design braucht man – experimenteller Grundkurs – als abhängige Variable eine klare Störung auf die ein ebenso klares Vorgehen als unabhängige Variable angewendet wird. Kurz: hier werden Programme auf ICD-Störungen angewendet.

Beratungsprobleme lassen sich hingegen (bisher) nicht in eine so klares System pressen, dass den „krankheitswertigen Störungen“ nun die „beratungswertigen Probleme“ vergleichbar wären. Damit entfällt aber die abhängige Variable – und damit die Basis der RCT-Designs. Daher haben im Beratungsbereich auch jene Verfahren einen guten Stand, bei denen nicht so sehr Programme angewendet, sondern Prinzipien entfaltet werden. Wie Systemiker sagen würden: ein Unterschied, der einen Unterschied macht.

Ob allerdings jemals so viel Sachverstand in den G-BA Einzug halten wird, dass dieser Unterschied erkannt wird, muss leider aufgrund der Vergangenheit bezweifelt werden. Das Beste, was die Sys-temische Therapie daher hierzulande erwarten darf ist, dass sie nach einem fragwürdigen methodischen Ansatz hinreichend redlich geprüft wird. Das wäre im Vergleich zum Umgang mit der Gesprächspsychotherapie bereits ein Riesenfortschritt. Glückauf!


GwG-Blogger Prof.Dr.Jürgen Kriz:

Vorwiegend habe ich in den letzten Jahrzehnten wissenschaftliche Texte zu Fragen von Psychotherapie, Beratung und Coaching verfasst -  allerdings auch mit vielen Beiträgen zur Methodik von Forschung in diesen Bereichen, da gerade in Deutschland im Hinblick auf diese Fragen ein sehr verengtes, reduziertes und missverstandenes Bild von „Wissenschaftlichkeit“ vorherrscht.

Als Ausgleich für die hoch disziplinierten wissenschaftlichen und fachlichen Artikel habe ich immer schon dann und wann Satiren und kleine Geschichten verfasst (die bisweilen sogar in „pardon“ oder „scheidewege“ erschienen sind). Seit vielen Jahren schreibe ich für die GwG-Zeitschrift ein „Nachgedacht“, in dem ich aktuelle Themen und Trends in Gesellschaft und Wissenschaft aus der Sicht Humanistischer Psychotherapie hinterfrage.

Ich liebe ungewöhnliche Blickwinkel. Denn nur durch die Vielfalt der Perspektiven können die meist sehr komplexen Erfahrungsgegenstände etwas weniger reduziert und verzerrend erfasst und dargestellt werden.

Website: www.jkriz.de