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Moral und Recht

Ist alles erlaubt, was nicht verboten ist? Und welche Formen von Selbstverpflichtung und Verantwortlichkeit braucht es in der Gesellschaft?

Moral und Recht

ein Beitrag von Gabriele Isele

Um das Verhältnis von Moral und Recht etwas genauer zu verstehen, bin ich auf eine Publikation der Universität Bayreuth1 gestoßen, die mir für den folgenden Beitrag eine wichtige Unterstützung war.

Ist alles erlaubt, was nicht verboten ist? Und welche Formen von Selbstverpflichtung und Verantwortlichkeit braucht es in der Gesellschaft? Nicht alles, was Menschen als moralischen Verstoß erachten, ist auch gesetzeswidrig, und manches, was gesetzeswidrig ist, ist für sich genommen nicht moralisch verwerflich. Zum Beispiel würden die meisten Menschen es als falsch erachten, ihren Partner oder ihre Partnerin zu betrügen oder sich für eine empfangene Hilfe nicht zu bedanken – aber es läge ihnen fern, solches gesetzlich regeln zu wollen. Andererseits gibt es gesetzliche Regeln, beispielsweise Verkehrsgesetze, welche einen funktionierenden Verkehr sichern – aber nichts mit Moralität zu tun haben.

 

Freiheit und Verantwortung

Mit der Säkularisierung des Rechts, der Trennung von weltlicher und geistlicher Macht, ging ein Freiheitsgewinn einher. Und auch der postmoderne Verlust an moralischer Verbindlichkeit bietet zunächst einen Zugewinn an Möglichkeiten persönlicher Entfaltung. Übersehen wird dabei jedoch schnell, dass Freiheit auch Verantwortung voraussetzt. In Hinblick auf die zunehmende Vielfalt von unterschiedlichen Moralvorstellungen tendieren einerseits viele Menschen dazu, solche gar nicht mehr zu beachten und sich ausschließlich daran zu orientieren, ob etwas legal ist oder nicht. Andererseits wird der Ruf nach einer umfassenderen Verrechtlichung von Moralforderungen laut. Das eine würde dazu führen, dass Sicherheiten und Verbindlichkeiten geopfert werden, das andere dazu, dass Freiheitsspielräume eingeengt und der öffentliche Diskurs moralisiert wird.

Recht und Moral betreffen unterschiedliche Geltungssphären.

 

  • Rechtliche Normen haben ihren Geltungsgrund durch den Staat als Rechtssetzungsmacht, sie können sanktioniert und gegebenenfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Rechtsnormen dienen der Herstellung und Sicherung essenzieller Lebensbedingungen und sozialer Sicherheit. Sie garantieren innerhalb wechselseitiger Grenzen den Freiheitsspielraum und die Sicherheit der Einzelnen.
  • Moralische Normen sind entweder subjektiv – der Mensch gibt sich selbst Vorgaben für richtiges Handeln (im Grundgesetz gilt die Freiheit des Gewissens als unverletzlich) – oder sie entsprechen gesellschaftlichen Verhaltensregeln, die aus Tradition, Kultur und Religion entstanden sind. Moralische Normen sollen Handlungen inhaltlich an Werten ausrichten. Sie sind sinnstiftend, engen aber auch ein.

Im demokratischen Rechtsstaat werden Rechtsnormen in einem demokratisch legitimierten öffentlichen Verfahren erzeugt. Gesetze gelten verbindlich für alle und sind einer rechtlichen Kontrolle zugänglich. Rechtsnormen sind allgemeiner und höherrangig, sie begrenzen die Macht gesellschaftlicher überkommener Moralnormen. Schutz vor falschen Rechtsnormen bietet bei uns das Grundgesetz, welches den Gesetzgeber verpflichtet, die Grundrechte zu berücksichtigen, insbesondere Menschenwürde und Gleichheit. Mit dem Grundgesetz sollen moralische Voraussetzungen rechtlich abgesichert werden. Daneben bilden Gewaltenteilung, Verfassungsgerichtsbarkeit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Demonstrationsfreiheit ein Korrektiv bei der Rechtsanwendung und Rechtskontrolle.

Recht und Moral brauchen einander, dürfen aber nicht ineinander aufgehen. Recht muss den Pluralismus der Meinungen und Lebensformen in unserer Gesellschaft schützen. Innerhalb dieses Rahmens ist der freiheitliche Staat darauf angewiesen, dass seine Bürger verbindliche moralische Regeln aushandeln und sich daran orientieren. Dafür kann der Staat Bedingungen schaffen (u. a. durch soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Sicherheit und Bildung). Würde man jedoch moralische Normen zu Rechtsnormen machen, liefe man Gefahr, persönliche Freiheitsrechte einzuengen.

Gabriele Isele

 

1 https://epub.uni-bayreuth.de/2903/1/spektrum_ausgabe_01_14.pdf