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Reden mit Corona-SkeptikerInnen: Herausforderungen für einen Dialog

Das zunehmende Schwarz-Weiß-Denken im öffentlichen und auch privaten Diskurs macht besorgt, die Eskalation, die vielen Aufrufe zu Hass und Gewalt in den sozialen Medien, aber auch das schnelle Moralisieren. Inzwischen bin ich vereinzelt auch im Bekannten- und KollegInnenkreis auf Menschen getroffen, deren Bedenken hinsichtlich der Corona-Maßnahmen sie mit der Querdenken-Bewegung zumindest sympathisieren lässt. Meine bisherigen Versuche, in den Dialog zu gehen, waren wenig erfolgreich...

Das zunehmende Schwarz-Weiß-Denken im öffentlichen und auch privaten Diskurs macht besorgt, die Eskalation, die vielen Aufrufe zu Hass und Gewalt in den sozialen Medien, aber auch das schnelle Moralisieren. Inzwischen bin ich vereinzelt auch im Bekannten- und KollegInnenkreis auf Menschen getroffen, deren Bedenken hinsichtlich der Corona-Maßnahmen sie mit der Querdenken-Bewegung zumindest sympathisieren lässt. Meine bisherigen Versuche, in den Dialog zu gehen, waren wenig erfolgreich.

Ich möchte daher im Folgenden einige Überlegungen, die mich beschäftigen, zur Diskussion stellen. Sie sind weder als Antwort noch als Lösungsvorschlag zu verstehen, sondern eher als vorläufige Bestandsaufnahme mit anschließender Formulierung einiger Voraussetzungen für demokratische Willensbildung.

Mir ist klar, dass das Entgegenhalten von Fakten und wissenschaftlichen Belegen nicht hilft, im Gegenteil eher kontraproduktiv ist. Denn hier geht es nicht mehr um den Austausch unterschiedlicher Perspektiven, wie mit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen umgegangen werden soll; hier geht es auch nicht darum, einmal gewonnene Erkenntnisse aufgrund neuer Tatsachen zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Hier treffe ich auf eine generell wissenschaftsskeptische Haltung, anerkannte Forschung wird als „Mainstream-Wissenschaft“ grundsätzlich infrage gestellt. Da ist es nicht mehr weit bis zum Proklamieren „alternativer Fakten“ und dem Umschlagen in Verschwörungsmythen. Für eine sachliche Diskussion fehlt die gemeinsame Referenzgrundlage.

Nun weiß ich als PZAlerin und aus meiner Therapieerfahrung, dass das Bemühen um genaues Verstehen hilfreich ist. Was also lässt mein Gegenüber zu solchen Ansichten kommen, welche Gefühle sind damit verbunden, welche Ängste und welche Bedürfnisse? Genau hier beginnt jedoch für mich auch eine Schwierigkeit. In der Therapie oder Beratung sitze ich einem Menschen gegenüber, der aus seinem leidvollen Erleben heraus Hilfe sucht. In der Kaffeerunde oder auf der Straße oder in der Begegnung mit KollegInnen ist das jedoch nicht der Fall. Da sehe ich mich jemandem gegenüber, der oder die zumeist mich überzeugen möchte, der oder die mich oftmals mit Informationen überschüttet, seien sie angelesen, gehört oder selbst erlebt. Mein (einfühlendes) Zuhören ist erwünscht - mir zuzuhören weit weniger.

So naheliegend es ist, die Beziehungsbedingungen, die Carl Rogers für ein hilfreiches Gespräch formuliert hat, auch hier fruchtbar machen zu wollen, so ist doch zuallererst festzuhalten, dass Rogers sie als Bedingungen für therapeutischeVeränderung formuliert hat. Also für Gespräche, denen eine ganz bestimmte Situationsdefinition und Rollenbeziehung und ein Auftrag zugrunde liegen. Insbesondere fehlt Bedingung zwei: Die eine Person befindet sich in einem Zustand der Inkongruenz, ist verletzlich und ängstlich – als Indikationsbedingung für eine Therapie oder Beratung. In Gesprächen im persönlichen Umkreis bin ich nicht um Rat gefragt worden, vor mir sitzt keine KlientIn, sondern mein Gegenüber ist eine Bekannte, eine KollegIn, der Partner oder die Partnerin. Ich spüre, dass ich in ihren Augen jemand bin, die nicht aufgewacht ist, die sich von den Mainstream-Medien hat einfangen lassen oder noch schlimmer, eine, die das „freie“ Denken einschränken will. Allenfalls kann ich meine Betroffenheit äußern, dass unser Kontakt, der mir doch wichtig ist, so schwierig geworden ist, vielleicht noch meinen Wunsch, auch gehört zu werden. Das jedoch wurde bislang meist mit der Zusendung von Materialien beantwortet, die ganz sicher geeignet seien, mich zu überzeugen.

Vermutlich auch aus dieser Schwierigkeit heraus richten sich die allermeisten Beratungsangebote nicht direkt an die Verschwörungsgläubigen, sondern an Angehörige, FreundInnen und KollegInnen. Es gilt außerdem zu unterscheiden zwischen Corona-LeugnerInnen und Menschen, die Angst vor einer Impfung haben. Bei Menschen, die Angst vor der Impfung haben, gilt es, ihre Sorgen ernst zu nehmen, auf diese einzugehen und zu versuchen, aufklärend zu beraten.

Der Dialog mit Corona-SkeptikerInnen dagegen wird in vielen Fällen scheitern. Wenn er gelingen soll, müsste es bei aller Unterschiedlichkeit so etwas wie eine gemeinsame Basis oder gemeinsame Grundübereinstimmung geben.

  1. Wir müssen anerkennen, dass Wissenschaft keine absoluten Gewissheiten generiert, sondern ein Verfahren der Erkenntnisgewinnung ist. Der Zweifel gehört genuin dazu und hat letztlich zu immer stimmigeren Ergebnissen geführt – die jedoch grundsätzlich weiterhin und immer vorläufig sind. Wir müssen anerkennen, dass wir es mit komplexen Gegebenheiten zu tun haben, bei denen immer ein Teil an Nichtwissen bleibt.
  2. Wir müssen anerkennen, dass meine Freiheit ihre Begrenzung an der Freiheit meiner Mitmenschen findet, mein Ausatmen dein Einatmen ist (und umgekehrt), mein Anspruch auf Freiheit deine Chance auf einen geplanten Eingriff verringern kann.
  3. Wir müssen anerkennen, dass individuelle Freiheit gesellschaftliche Rahmenbedingungen braucht, zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit, den Schutz vor Gewalt, die Sicherung des Gemeinwohls und der öffentlichen Gesundheit. Dafür werden immer auch individuelle Freiheiten beschnitten und eingeschränkt, und meist sind wir auch bereit, das zu akzeptieren, zum Beispiel beim Sicherheitsgurt im Auto, beim Brandschutz für Gebäude oder bei den Hygienevorschriften in der Lebensmittelproduktion.
  4. Wir müssen anerkennen, dass individuelle Freiheit den ungehinderten Austausch unterschiedlicher Meinungen braucht. Aber auch dieser setzt Spielregeln voraus: Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, Gewaltfreiheit und wechselseitigen Respekt. Ich muss bereit sein, dem anderen zuzuhören – aber ich muss auch bereit sein, Position zu beziehen.

Im öffentlichen, aber auch im privaten Diskurs kann es nicht nur um Zuhören und Verstehen gehen, sondern auch darum, mich zu äußern, mich zu zeigen und auch Grenzen aufzuzeigen, meine Grenzen und die Grenzen des (moralisch) Tolerierbaren. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und Verantwortung einzufordern: Wo stehe ich, was sehe ich als meine Aufgabe, wie definiere ich gesellschaftliche Verantwortung für mich, für andere?

In der Therapie und in der Beratung kann ich mich offen um das Verstehen selbst der in meinen Augen abwegigsten Ansichten bemühen – im politischen Diskurs jedoch bin ich auf andere Art und Weise gefragt. Hier muss ich mich nicht nur für Verstehen stark machen, sondern für eine Ethik der politischen Gegnerschaft, für einen gewaltfrei ausgetragenen Diskurs und eine gewaltfreie Entscheidungsfindung innerhalb der demokratischen Institutionen.