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Wie perfekt ist unsere Medienlandschaft?

(..)Was also BDZV und der taz-Beitrag bemängeln, sind die vermeintlich „deutlichen Defizite in der Medienkunde“ beim Lehrpersonal selbst. (.99

Wie perfekt ist unsere Medienlandschaft?

Kommentar von Jürgen Kriz

„Das ist ein Besorgnis erregender Befund“, erklärte Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger) in einer Pressemitteilung.[i]  Und Peter Weissenburger, Redakteur der Tageszeitung „taz“, schlug in die gleiche Kerbe: „Medienkompetenz von Lehrer:innen: Erstaunliche Vorstellungen“ war die Überschrift seines Beitrags, in dem berichtet wird, dass von „überraschend großen Teilen der befragten Lehrkräften eine beunruhigende Haltung zu Rundfunk und Presse“ zu beobachten sei. „Vor allem bei Fragen nach den Aufgaben von Medien zeigten sich bei den Befragten teils erstaunliche Vorstellungen“, so Weissenburger.

Was sind denn nun diese „erstaunlichen“ und „Besorgnis erregenden Befunde“? Der ganzen Argumentation liegt eine Befragung zugrunde, welche das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) im Auftrag des BDZV an rund 500 Deutsch- und Sozialkundelehrer*innen der Sekundarstufe I durchgeführt hat. Diese Befragung hat zwar überwiegend ein positives Bild gezeichnet – doch eignet sich das wohl nicht so sehr für eine spektakuläre Überschrift. Immerhin halten 95 Prozent der Lehrkräfte die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz in der Schule für „besonders wichtig“ oder „auch noch wichtig“. Zentral sehen sie die Vermittlung der Fähigkeit, sich in den Informationsangeboten orientieren zu können. Sie sind mehrheitlich überzeugt, dass es ihnen gelingt, den Schülern mediale Basiskenntnisse zu vermitteln, und nutzen dafür vor allem Zeitungen als Anschauungsmaterial.

Was also BDZV und der taz-Beitrag bemängeln, sind die vermeintlich „deutlichen Defizite in der Medienkunde“ beim Lehrpersonal selbst. Das wird damit begründet, dass nur 60 Prozent sicher waren, dass es Aufgabe der Medien ist, „die Mächtigen kritisch zu beobachten und zu kontrollieren“, dass 40 Prozent sagten, Medien seien dafür da, „die Bevölkerung für bestimmte Anliegen zu mobilisieren“ und 6 Prozent angaben, dass Medien Nachrichten „zurückhalten sollen, wenn die Gefahr besteht, dass dadurch die öffentliche Meinung negativ beeinflusst wird“.

Dabei ist zu bedenken,, dass diese Aussagen vorformuliert angeboten wurden und dabei Mehrfachnennungen möglich waren. Angesichts dessen ist eine (eben: auch) kritische Sicht auf den hehren Anspruch der Nachrichtenmedien, die Bevölkerung neutral und umfassend zu informieren, doch eigentlich nicht so schlecht. Immerhin gehören zu den Printmedien ja auch die „Bild“ und ähnliche Zeitungen, die von Schülern durchaus nicht einfach unkritisch konsumiert werden sollten, weil sie ganz offenkundig für bestimmte Anliegen mobilisieren wollen.

Als besonders problematisch wird im taz-Artikel hervorgehoben, dass 19 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass „viele Nachrichten, die eigentlich wichtig sind, in den normalen Medien verschwiegen werden und man sie nur in sozialen Netzwerken, Foren oder Blogs findet“. Daraus schließt Weissenburger: „Das sind Positionen, die beunruhigen müssen, weil sie übersetzt bedeuten: Diese Befragten finden, dass es hierzulande keine funktionierende freie Presse gebe.“

Abgesehen von dieser fragwürdigen „Übersetzung“-Deutung wäre die wichtigere Frage, was aus einem solchen Ergebnis zu folgern ist. Für den BDZV und die taz mündet das in der Forderung an die Lehrkräfte, „sie mögen jetzt bitte noch die eine oder andere Fortbildung machen“. Auf die Idee, dass an der – auch! – kritischen Sicht der Lehrer etwas dran sein könnte, kommen weder der BDVZ noch die taz.

Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass selbst im Pressekodex des Presserats beispielsweise im Hinblick auf Berichte über Drogen (Nr. 11.6) oder über die „Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten“ bei Straftaten (Nr. 12.1) durchaus Zurückhaltung  gefordert wird, wenn die Gefahr einer negativen Beeinflussung der öffentlichen Meinung besteht. Das ist noch leichter als angemessen nachzuvollziehen als etwa die mangelnde Medienrepräsentanz der Pluralität von Expertenmeinungen über das aktuelle Corona-Geschehen.

Leser*innen dieser Zeitschrift fällt dazu aber auch die allzu konforme Nicht-Berichterstattung in den üblichen Medien über die skandalöse Ausgrenzung der Humanistischen Psychotherapie und die teilweise „gelungene“ Eliminierung der Gesprächspsychotherapie ein. Dass – ganz im Gegensatz zu anderen Ländern – in Deutschland eine ganze Denkrichtung droht, administrativ entsorgt zu werden, sollte allein schon Medien auf den Plan rufen. Aber die Umstände, unter denen dies geschah und dass immerhin 40 Professoren die Bewertung eines „Wissenschaftlichen Beirates“ „mit aller Schärfe als tendenziös und mangelhaft“ zurückzuweisen, wäre schon über die Fachzeitschriften hinaus eine Meldung wert. Und dass es trotz intensiven Bemühens nicht einmal Zeitschriften wie „Chrismon“ interessiert, wie eine am Menschen ausgerichtete Psychotherapie hierzulande zugunsten medikalisierter, technologischer Vorgehensweisen ausgehebelt wird, bestätigt eher den o. a. Eindruck, „dass viele Nachrichten, die eigentlich wichtig sind, in den normalen Medien verschwiegen werden“.

Ich bin leider sicher, dass dies auch in vielen anderen Bereichen und für andere Vorgänge gilt. Und dass trotz einer insgesamt zufriedenstellenden Medienlandschaft durchaus auch Kritik angebracht ist. Spricht es nicht gerade für Medienkompetenz, solche Defizite in der Medienlandschaft zu problematisieren? Statt eine kritische Sicht der Lehrer durch „Weiterbildung“ beseitigen zu wollen, sollten Verlage und Presse nachdenken, wie sie die kritisierten Aspekte nachbessern könnten.    

 

 


[i]www.bdzv.de/nachrichten-und-service/presse/pressemitteilungen/artikel/detail/allensbacher-studie-zur-nachrichtenkompetenz/